Gesellschaft 4.0

Keiner darf vergessen werden

Neben der Industrie entstehen für den Dienstleistungssektor zunehmend neue Konzepte für den Einsatz neuer digitaler Technologien. In Abgrenzung zur Industrie lautet der Arbeitstitel hier „Wirtschaft 4.0“. Dieser Wandel wird sich in allen Dienstleistungsbereichen vollziehen und somit in sämtlichen Lebensbereichen. Grund genug, die unterschiedlichen Lebensbereiche zu durchleuchten.

In unserem Beitrag zu Bildung 4.0 haben wir uns bereits dem frühkindlichen Entwicklungsprozess gewidmet. Wir haben darüber berichtet, dass die Nutzung digitaler Medien mit dem fünften Lebensjahr deutlich intensiviert wird. Ein Gang durch die Spielzeugabteilungen in Kaufhäusern zeichnet ein eher dramatischeres Bild. Die moderne Spielzeuglandschaft imponiert durch schrille Bild- und Toneffekte. Flora und Fauna wird unseren Kleinsten durch digitale Lernboards nähergebracht, verbunden mit animierten Erfolgskontrollen, die Kinderherzen durch ein fröhliches „Prima, das hast Du gut gemacht“, verbunden mit einem jubelnden „Pling pling“ höherschlagen lassen. Die Zeiten eines Waldspaziergangs oder eines Zoobesuchs scheinen überholt.

Damit einhergehend scheinen auch die Zeiten des Miteinanders überholt. Droht Erziehung durch Kindesverwaltung abgelöst zu werden? Nein, wenn Fortschritte durch die Digitalisierung flankierend und verantwortungsbewusst angewendet werden. Die nicht selten wenige Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen können, ist gerade im frühkindlichen Entwicklungsprozess zu kostbar, um sie für die Professionalisierung in digitalen Medien zu nutzen.

Diese Professionalisierung ergibt sich unweigerlich von selbst, bspw. durch Smartphones, ohne die ein Überleben für die Jugendlichen heutzutage augenscheinlich nicht möglich ist. Die Auswahl eines Urlaubsortes bspw. orientiert sich nicht mehr an geographischen oder kulturellen Gegebenheiten, vielmehr an der WLAN-Verfügbarkeit vor Ort. Kommunikation ist schließlich für ein funktionierendes Miteinander wichtig, die Art der Kommunikation hingegen fragwürdig, wenn sich die an einem Tisch sitzenden Menschen untereinander die Chats vollschreiben oder Fotos aus gemeinsam erlebten Situationen zuschicken.

Beleuchten wir darüber hinaus den ganz normalen Alltag, in dem wir auf unzählige fortschrittliche Entwicklungen stoßen, die als solche einen tatsächlichen Fortschritt bedeuten aber im Umkehrschluss nicht förderliche Auswirkungen auf das Miteinander haben. Erinnern wir uns an Zeiten, in denen man morgens zum Bäcker ging um Brötchen zu holen. Die Bäckersfrau begrüßte einen mit Namen, erkundigte sich nach dem Wohlbefinden und verabschiedete mit einem guten Wunsch für den Tag. Heute werden Brötchen beim Discounter gekauft, die Bäckersfrau ist durch einen Brotbackautomaten ersetzt. Der Dialog ist zum Monolog verstummt. Schmecken tun die Maschinenbrötchen im Übrigen längst nicht so gut wie die von der Bäckersfrau. Trotz allem, ein bisschen „lean“ ist es schon: Brötchen „JiT“ (Just in Time).

Wohl dem, der mit derartigem Fortschritt umzugehen vermag. Der Blick richtet sich auf die älteren Mitmenschen. Es sind nicht nur Brotbackautomaten, vielmehr automatisierte Verfahren des Geld- und Zahlungsverkehrs, im Personennahverkehr, im Warenwirtschaftsverkehr und vielem mehr, die gerade für ältere Menschen eine Herausforderung darstellen, die bis hin zur Ausgrenzung führen können. Denken wir allein daran, wo wir Sonderangebote beziehen. Selten im Kaufhaus um die Ecke, vielmehr im Internet.

Erfreulicher Weise berücksichtigen Seniorenangebote unterschiedlicher Organisationen und Einrichtungen zunehmend den digitalen Wandel. Smartphone- und Computerkurse sind mittlerweile fest in Programme implementiert. Das ist angesichts des demografischen Wandels auch unabdingbar. Und nur schlecht reden wollen wir den Einfluss von Industrie 4.0 in gesellschaftliche Lebensbereiche auch nicht.

In der Medizin gibt es bspw. unzählige Beispiele für die positiven Auswirkungen von Industrie 4.0 auf gesellschaftliche Kontexte. Oder denken wir an „Smart Home“, automatisierte Parkplatzsuche, etc. Darüber hinaus können die passgenauere Orientierung an den unterschiedlichen Kundenerwartungen und die und zielorientierte Entwicklung bedarfsgerechterer neuer Dienstleistungen als durchaus positive Auswirkungen verstanden werden.

Die genannten Beispiele machen vielmehr deutlich, dass Fortschritt für die Gesellschaft nicht durch Automatisierung bestimmt ist, vielmehr durch Miteinander unter Berücksichtigung aller Gesellschaftsschichten. Vorstellungen über Gesellschaft 4.0 dürfen nicht von Sciene-Fiction-Interpretationen geprägt sein, der Blick muss vielmehr auf alle Gesellschaftsgruppen mit ihren jeweiligen Bedarfslagen ausgerichtet bleiben, mehr denn ja.